"Wir übersetzen die Emissionsbilanz von Unternehmen in Grad Celsius"

Experteninterview – 28. Juni 2021

Interview mit Nicolas Schuerhoff, Climate Impact Analyst bei right. based on science

Gehören Sie in Bezug auf den Klimawandel zu den Guten oder den Bösen? Eine Grad Celsius (°C) Zahl kann darüber Auskunft geben. right. based on science hat ein Modell entwickelt, mit dem Kunden ihre Auswirkung auf das Klima gemäß dem Pariser Klimaabkommen berechnen können. Mit Nicolas Schuerhoff, Climate Impact Analyst bei dem jungen Frankfurter Unternehmen, sprechen wir darüber, wie man die Klimaauswirkungen eines Unternehmens in konkrete, greifbare Zahlen übersetzen kann und warum der Klimaschutz für Unternehmen immer mehr zu einer Finanzfrage wird.

Nicolas Schuerhoff, Climate Impact Analyst bei right. based on science

Nicolas, bevor Sie zu right. based on science gegangen sind, haben Sie ein Praktikum bei der Lufthansa im Umweltmanagement gemacht. Allein dadurch hat sich Ihr Blick auf den Klimawandel sicher verändert, oder?

Ja, ich habe mich schon immer dafür interessiert, wie die großen DAX-Unternehmen intern das Thema Umweltschutz behandeln. Durch meine Arbeit bei der Lufthansa stieß ich auf eine neue Sicht auf den Klimaschutz aus Firmenperspektive. Dabei geht es vor allem darum, den Klimawandel als geschäftliches Risiko wahrzunehmen. Das fand ich so interessant, dass ich mehr darüber erfahren und bei einem Unternehmen arbeiten wollte, das diese Risiken transparent macht. Und so habe ich vor etwa zwei Jahren bei right. angefangen.

Deine persönliche Motivation, aber auch der geschäftliche Perspektivwechsel, den du beschreibst, besteht darin, dass Nachhaltigkeit nicht unter dem Aspekt der sozialen Unternehmensverantwortung oder als Reaktion auf Verbraucherdruck gesehen wird, sondern als grundlegendes finanzielles bzw. wirtschaftliches Risiko für das Unternehmen.

Ja, genau. Außerdem denke ich, dass die oberste Unternehmensführung diese Sprache besser versteht. Sie ist einfach klarer als ein ethischer oder moralischer Diskurs. Wenn man erst einmal anfängt, diesen Risiken, aber auch den Chancen, einen finanziellen Wert zuzuordnen, verschiebt sich das Augenmerk, und das Thema bekommt die Aufmerksamkeit der Geschäftsführung, die es braucht.

Wie gelingt es Ihnen, die Auswirkung eines Unternehmens auf das Klima zu erfassen und dann in konkrete, aussagekräftige Zahlen zu übersetzen?

Die Zahlen, mit denen man normalerweise im Umweltmanagement arbeitet, sind sehr abstrakt. Wir reden hier von CO2-Emissionen in Tonnen – oder umgerechnet in CO2-Äquivalente, was noch unverständlicher ist. Kein Mensch weiß, ob 30 Millionen Tonnen CO2 viel oder wenig ist. Vermutlich ist es viel, aber es fehlt einfach der Bezugsrahmen. Mit unserem XDC-Modell (X-Degree Compatibility) wollen wir solche Zahlen für Unternehmen, Verbraucher und Politiker greifbarer machen, indem wir sie in Grad Celsius umrechnen. Das ist im Grunde genommen das, was unser Modell macht. Wir übersetzen die Emissionsbilanz in Grad Celsius, und damit kann die Auswirkung eines Unternehmens auf das Klima in einen verständlicheren Zusammenhang gesetzt werden, der auch eine andere psychologische Wirkung hat.

Am Ende präsentieren Sie also eine simple Zahl, die auch einen emotionalen Wert hat. Erzählen Sie uns bitte noch mehr über den Prozess: von dem Punkt, an dem Sie die Daten des Unternehmens bekommen, über die Eingabe in das Modell bis zur Generierung der leicht zu verstehenden Zahl.

Das XDC-Modell arbeitet im Grunde mit zwei Parametern: Den vom Unternehmen ausgestoßenen Emissionen und seiner finanziellen Leistung, der Bruttowertschöpfung. Diese beiden Parameter stellen wir einander gegenüber, um die Emissionsintensität zu berechnen. Die Emissionsintensität gibt uns Auskunft darüber, wie viele Emissionen ein Unternehmen ausstößt, um eine Million Euro Bruttowertschöpfung zu generieren. Das ist der erste Schritt, den das Modell ausführt. Mit diesen beiden Parametern beginnt man immer auf Unternehmensebene. Im zweiten Schritt skalieren wir die Emissionsintensität auf die ganze Welt. Wir schauen uns also an, wie viele Emissionen bis 2050 in die Atmosphäre ausgestoßen würden, wenn die ganze Welt sich genauso verhalten würde, wie das von uns untersuchte Unternehmen. Im dritten Schritt nutzen wir dann ein Klimamodell. Mit dem Klimamodell wird die globale Erwärmung aufgrund der bis 2050 in die Atmosphäre freigesetzten Emissionen in Grad Celsius berechnet. Das ist der wirklich wichtige Teil, bei dem auch unsere enge Verbindung zur Klimawissenschaft zum Tragen kommt: diese Angabe in Grad Celsius. Anstatt eines Scores oder einer Punktezahl geben wir eine reale Grad Celsius Zahl an.

Unser aktuelles Ziel ist es, die globale Erwärmung auf unter 1,5 Grad zu begrenzen. Allerdings wird es wohl eher in Richtung 2 Grad gehen. Wenn es wirklich schlecht läuft und wir nicht schnell genug handeln, könnten wir auch bei 4 oder 5 Grad rauskommen. Ihr Modell ermöglicht es Unternehmen, sich in diesem Rahmen zu positionieren. Hilft mein Unternehmen dabei, die globale Erwärmung unterhalb von 2 Grad zu halten oder trägt mein Unternehmen mehr oder weniger dazu bei, dass die Erde sich um 4 oder 5 Grad erwärmt? Mit anderen Worten: Gehöre ich zu den Guten oder den Bösen? Richtig?

Ja, genau. Wir haben uns im Pariser Klimaabkommen gemeinsam auf dieses Ziel geeinigt. Mit unserem Model sprechen wir die gleiche Sprache. Natürlich muss man bei dieser Berechnung für ein Unternehmen immer auch einbeziehen, in welcher Branche das Unternehmen tätig ist. Nicht jedes Unternehmen ist die Lufthansa oder ein Energieunternehmen, weshalb man diese Zahlen immer im Zusammenhang sehen muss. Dieser Zusammenhang ist einerseits die Branche des Unternehmens, aber es sind auch die branchenspezifischen Ziele.

Wenn ich mir vorstelle, ich wäre in der Geschäftsführung eines weniger klimafreundlichen Unternehmens, wollte ich wahrscheinlich nichts von Ihrem Angebot wissen, weil die Zahlen, die Sie berechnen, vermutlich nicht sehr erfreulich sind. Wie sprechen Sie also Unternehmen an, und wie reagieren diese?

Das ist eine interessante Frage, weil man erwarten würde, dass Unternehmen angesichts der Zahlen schockiert oder sogar sauer sind. Aber tatsächlich haben die meisten schon eine Ahnung, dass ihre Leistung nicht unbedingt die beste ist. Dennoch ist es interessant, am Ende eine konkrete Zahl zu sehen. Und da sind dann manche Unternehmen über den Unterschied gegenüber ihren Wettbewerbern schockiert. Zumindest haben wir diese Reaktion schon oft erlebt. Aber wenn man die Zahlen eines einzelnen Unternehmens ansieht, ist die Reaktion meist: Ok, das ist keine gute Zahl, die werden wir natürlich nicht veröffentlichen. Aber wie können wir die Zahl jetzt reduzieren? Und auch da helfen wir mit unserer Analyse, denn sie zeigt, auf welchem Weg man Emissionen senken kann, damit das Unternehmen sein Ziel erreicht. Wir fahren ziemlich gut damit, dass wir diese Zahlen nicht als Anlass nehmen, mit dem Finger auf das Unternehmen zu zeigen, sondern vielmehr eine objektive Analyse präsentieren. Sie ist ein Werkzeug, das wir den Unternehmen an die Hand geben wollen, damit sie ihre Auswirkung auf das Klima besser verstehen und entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen können.

Abgesehen davon, dass man sich mit den Wettbewerbern vergleichen möchte, wie real ist denn die Gefahr finanzieller Verluste für Unternehmen, die ihren CO2-Fussabdruck nicht reduzieren?

Kurzfristig ist das schwer zu sagen. In letzter Zeit beobachten wir jedoch, dass das Thema ESG für Investoren immer wichtiger wird. Inzwischen findet man ESG auf den ersten Seiten des Quartalsberichts, nicht mehr nur als Fußnote oder ganz hinten.

Wofür steht ESG?

ESG steht für Environmental, Social and (Corporate) Governance, also Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Da gehören die Themen Klimawandel, Klimafreundlichkeit und Umweltfreundlichkeit dazu. Dieser Bereich hat in den letzten Monaten bei Investoren, aber auch bei Verbrauchern Fahrt aufgenommen. Die Anforderungen an das Reporting und die Transparenz steigen stetig. Investoren stellen immer häufiger kritische Fragen, und Unternehmen müssen darauf vorbereitet sein.

Was ist Ihre persönliche Meinung, wie stark dieser gerade beschriebene Impuls wirklich ist? Große Unternehmen wie zum Beispiel Microsoft haben sehr ehrgeizige Reduktionsziele verkündet. Andererseits ist zu beobachten, dass „schmutzige Unternehmen“ immer mehr öffentlichem Druck ausgesetzt sind. Shell etwa wurde von einem niederländischen Gericht gezwungen, die Emissionen deutlich stärker zu senken als ursprünglich geplant.

Noch vor ein paar Jahren hätte niemand es für realistisch gehalten, dass ein Unternehmen, also ein nicht-staatlicher Akteur, verpflichtet wird, seine Emissionen zu reduzieren, um das Pariser Klimaabkommen zu erfüllen. Dieses Urteil ist wirklich wegweisend. Ich kann mir vorstellen, dass das Risiko, wegen mangelndem Klimaschutz verurteilt zu werden, noch steigen wird. Es wird also deutlich, dass – wie wir am Beispiel von Shell gesehen haben – die Auswirkung eines Unternehmens auf das Klima ein juristisches Risiko für das Unternehmen selbst darstellt. Außerdem besteht auch das Risiko eines Imageverlusts bei den Verbrauchern. Auch das ist ein Anwendungsbereich für das XDC-Modell. Der Ansatz, die Auswirkung eines Unternehmens auf das Klima in Grad Celsius auszudrücken, macht dessen Rolle sehr transparent.

Dieses Interview ist ein Auszug aus einer Folge des The smarter E Podcasts. Das vollständige Interview auf Englisch können Sie hier anhören.

Möchten Sie mehr darüber erfahren, wie Ihr Unternehmen klimaneutral werden oder zumindest seine Emissionen senken kann? Dann besuchen Sie unsere Themenseite "Klima-neutrale Unternehmen" .

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