Experteninterview – "Schon heute lassen sich Renditen von bis zu 10% erwirtschaften"

Experteninterview – 19. April 2022

Interview mit Dr. Claudia van Laak vom Open District Hub sowie Dr. Karsten Schmidt von Ampeers Energy über Sektorkopplung im Quartier

Die Energiewende wird in Städten entschieden, heißt es oft. Denn hier wird nicht nur der weitaus größte Teil an Strom und Wärme verbraucht, Städte ermöglichen es mit ihrer vielfältigen Infrastruktur auch, Synergieeffekte zu nutzen. Wie lassen sich Städte und Quartiere möglichst schnell und vor allem wirtschaftlich klimaneutral machen und welche Rolle spielt dabei die Sektorkopplung? Das haben wir Dr. Claudia van Laak, Leiterin der Geschäftsstelle des Open District Hub e. V. (ODH) sowie Dr. Karsten Schmidt, Gründer der Ampeers Energy GmbH und stellvertretender Vorstandsvorsitzender des ODH gefragt.

Dr. Claudia van Laak, Leiterin der Geschäftsstelle des Open District Hub e. V.
Dr. Karsten Schmidt, Gründer der Ampeers Energy GmbH und stellvertretender Vorstandsvorsitzender des ODH

Frau van Laak, bevor wir in das Thema Sektorkopplung im Quartier einsteigen, erklären Sie uns bitte kurz, was der Open District Hub macht.

Van Laak: Der Open District Hub ist ein gemeinnütziger Verein, der verschiedene Branchen miteinander verbindet, insbesondere am Knotenpunkt von Energiewirtschaft, Immobilienwirtschaft und technologischen Anbietern, die Beiträge zur Wärme- oder Stromversorgung von Gebäuden leisten. Ebenso sind hier Unternehmen vertreten, die in der Gebäudeautomatisierung tätig sind, die juristische Fragen rund um das Thema der modernen Energieversorgung im Quartier klären oder auch verschiedene Forschungseinrichtungen. Somit ist der Open District Hub ein Ort, an dem sich alle diese Unternehmen zusammenfinden können, ein Erfahrungsaustausch ermöglicht wird und ein Wissenstransfer von der Forschung in die Praxis stattfindet.

Können Sie mit ein paar Beispielen aufzeigen, wie Sektorkopplung in Quartieren funktioniert und welche Synergieeffekte man dabei nutzen kann?

Van Laak: Beispielsweise kann jeder, der eine PV-Anlage auf dem Dach hat, eigenen, überschüssigen Strom anderen zur Verfügung stellen. Alternativ kann man grünen Strom in Wärme umwandeln, wenn gerade kein Strom benötigt wird. Eine ebenso intelligente Möglichkeit der Sektorkopplung ist das Laden des Elektroautos mit dem Strom vom eigenen Dach.

Das alles geht natürlich sehr viel sinnvoller, wenn mehrere Gebäude virtuell miteinander verbunden werden. Durch diesen Zusammenschluss ergeben sich Synergieeffekte, aus denen dann Geschäftsmodelle entstehen, durch die wiederum Geld verdient werden kann. Der Gebäudebestand wird nicht klimaneutral, wenn nur auf Effizienzmaßnahmen wie Dämmen gesetzt wird. Die Energie muss intelligent und sinnvoll dort eingesetzt werden, wo sie gebraucht wird. Das ist der Punkt, an dem die Sektorkopplung ins Spiel kommt.

Bei einem neuen Stadtteil kann man die Sektorkopplung sicher sehr viel leichter einplanen als im Bestand. Was sind die großen Unterschiede zwischen Bestand und Neubau und wo liegen für beide die größten Chancen?

Schmidt: Von der technischen Funktionsweise her gibt es zwischen Neubau und Bestand keinen Unterschied. Die Sektorkopplungssysteme verhalten sich recht ähnlich. Ein Unterschied besteht tatsächlich in der Umsetzung konkreter Projekte im Neubau. Hier ist es relativ einfach, diese Systeme ganzheitlich zu planen und umzusetzen. Beim Bestand muss man sich mit den Herausforderungen, die ein Quartier oder Objekt aufweist, auseinandersetzen. Wenn in einem Bestandsobjekt von Öl oder Gas auf eine Wärmepumpe umgestellt werden soll, muss zum Beispiel zunächst geklärt werden, ob die Wärmepumpe die Wärmeversorgung überhaupt sicherstellen kann oder ob man erst einmal die Gebäudehülle dämmen muss. Auch beim Thema Elektromobilität ist die Situation in Bestandsgebäuden eine andere. In den 60er Jahren hat noch keiner darüber nachgedacht, dass dort jemals Autos geladen werden müssen.

Der Bestand ist die größte Herausforderung die wir haben. Bestehende Wohnimmobilien verursachen jährlich 120 Millionen Tonnen CO2-Emissionen. Dieser Wert ist seit zehn Jahren konstant, obwohl wir eine Sanierungsquote von 1% haben. Um 2045 eine klimaneutrale Immobilienwirtschaft zu haben, müssten wir diese Quote vervierfachen. Und das funktioniert nur über standarisierte Konzepte. Wir brauchen schlüsselfertige Lösungen für Bestandsimmobilien, die standardmäßig Sektorkopplung beinhalten, damit wir nicht an diesen Hürden scheitern.

Herr Schmidt, gerade beim Strom gibt es bereits Geschäftsmodelle, um Investitionen zu fördern. Worum geht es da und welche Modelle sind am erfolgversprechendsten?

Schmidt: Es gibt nicht DAS erfolgversprechendste Modell, es ist immer eine Kombination verschiedener Modelle. Letztendlich geht es darum, die Wirtschaftlichkeit der erneuerbaren Energien im Kontext der Energieversorgung von Quartieren so zu gestalten, dass der Immobilieneigentümer die Anlagetechnik in Betrieb nehmen kann, ohne draufzahlen oder die Kaltmiete bei den Bewohnern zur Refinanzierung erhöhen zu müssen. Das ist die Kunst, um die es bei den Geschäftsmodellen geht.

Wie könnte so eine wirtschaftliche Lösung auf Basis neuer Geschäftsmodelle in der Praxis aussehen?

Schmidt: Wenn zum Beispiel ergänzend zu einer Wärmepumpe eine PV-Anlage auf dem Dach eines Mietshauses installiert wird, kann der Strom dazu genutzt werden, die Wärmepumpe zu versorgen. Das ist aber nur ein Teil der Verwendungsmöglichkeiten für den Strom. Weitere Verbrauchsstellen könnten Mieterstrom sein oder Ladestromprodukte. Und der letzte nicht verbrauchte Rest kann in das öffentliche Netz eingespeist werden. Somit wäre der Strom aus der eigenen Anlage gänzlich verwertet. Die Lösung ist, durch das Erschließen neuer Finanzierungsquellen die Modernisierung der Anlagetechnik wirtschaftlich umzusetzen und zu refinanzieren.

In Österreich beispielsweise besteht die Möglichkeit, in Form sogenannter Energy Communities den Strom zu teilen. Hier können Stromüberschüsse, die in einer Immobilie erzeugt werden über das öffentliche Stromnetz eingespeist und in einer anderen Immobilie aus dem Portfolio genutzt werden. Das ist für Immobilienbesitzer spannend, die beispielsweise im Stadtkern ein denkmalgeschütztes Haus besitzen, auf dem keine PV-Anlage installiert werden kann, am nahegelegenen Stadtrand aber über eine Immobilie verfügen, die potentiell dafür geeignet ist. Hier wird der zu viel produzierte Strom vom Haus am Stadtrand über das öffentliche Netz der Immobilie in der Stadt zur Verfügung gestellt und dort verwertet.

Wir haben jetzt viel über Strom gesprochen. Welche Rolle spielt der Wärmesektor für die Klimaneutralität in Quartieren?

Van Laak: Der Wärmesektor spielt eine entscheidende Rolle. Herr Schmidt hat bereits erwähnt, wie viele Tonnen CO2 insgesamt im Gebäudesektor ausgestoßen werden. In Deutschland gibt es rund 21 Millionen Gebäude und 75% davon werden immer noch mit Öl oder Gas beheizt. Von 2019 auf 2020 konnten wir einen Anstieg im Verkauf von Wärmepumpen um 40% verzeichnen und auch der Einsatz von Biomassekesseln ist im selben Zeitraum um 140% gestiegen. Es wird mehr, aber es ist noch ein verschwindend kleiner Teil.

Das Kunststück wird sein, die Wärmeversorgung innerhalb der Gebäude ebenfalls klimaneutral zu gestalten. Die Elektrifizierung der Wärme durch Wärmepumpen ist eine Möglichkeit. Es gibt auch Projekte, die sich mit der Frage beschäftigen, inwieweit Wasserstoff oder generell klimaneutrale Gase die Wärmeversorgung CO2-neutral machen können. Dahinter steht natürlich auch immer die Frage der wirtschaftlichen Attraktivität. In unserem Verein werden dafür alle Bausteine in Betracht gezogen, keine Technologie wird ausgeschlossen. Wichtig ist, dass wir die Sektoren Strom, Wärme und Mobilität nicht getrennt voneinander betrachten, sondern sie bündeln und in der Gemeinsamkeit die Klimaneutralität anstreben.

Frau van Laak, was sind denn die größten Hemmnisse, die uns daran hindern, Quartiere klimaneutral zu machen?

Van Laak: Sicherlich ist der Bereich Investor-Nutzer ein Thema. Sprich, wie wird der Gebäudeeigentümer zur Investition bewegt? Wie wirtschaftlich ist die Umstellung auf Klimaneutralität? Und letztendlich ist auch der langwierige Genehmigungs- und Planungsprozess bei den Kommunen eine Hürde. In den Kommunen herrscht oft Ressourcen- und Personalmangel. Manchmal divergieren auch die Ziele des Baudezernates mit denen des Klimaschutzmanagers der Kommune. Hinzu kommt ein Fachkräftemangel, der eigentlich das größte Hindernis darstellt. Was nutzen die im Open District Hub zusammengetragenen Konzepte, wenn sie keiner umsetzen, bauen und in Betrieb nehmen kann?

Wie lässt sich das Dilemma zwischen wirtschaftlichen Interessen und technisch Machbarem lösen?

Schmidt: Mit den uns zur Verfügung stehenden Anlagetechniken und intelligenten Softwarelösungen sind wir in der Lage eine CO2-Minderung von rund 90% zu erreichen, egal um welches Gebäude es sich dreht. Die Gebäudeenergieversorgung muss sektorübergreifend und ganzheitlich betrachtet werden. Dadurch kann das Investoren-Mieter-Dilemma aufgelöst werden. Bei einer ganzheitlichen Quartiersenergieversorgung – also Wärme, Strom und Mobilität – kann heute schon im Bestand und im Neubau eine Rendite von bis zu 10% erwirtschaftet werden. Das entspricht auch der Überzeugung, die wir im Open District Hub vertreten.

Beim Thema Förderung sollte jetzt eher das Thema CO2-Minderung als technische Lösungskonzepte bedacht werden, wobei alle erwähnten Maßnahmen auch ohne Förderung möglich sind. Jetzt geht es vor allem um die Geschwindigkeit, mit der die Sanierungsquote auf ein Vierfaches erhöht werden kann, denn die aktuellen Probleme wie z.B. der Facharbeitermangel werden in Zukunft bestehen bleiben oder größer werden, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen. Und hier ist die standardisierte Lösungsfindung bei der Planung ein ganz wichtiger Punkt. Mit softwarebasierten Planungstools und einem hohen Vorfertigungsgrad können Modernisierungsprojekte, deren Fertigstellung normalerweise zwischen drei und sechs Monaten Zeit in Anspruch nimmt, in sechs bis acht Wochen fertig gestellt werden. Wenn diese Punkte beherzigt und umgesetzt werden, kommt Dynamik und Schwung in die Sache.

Dieses Interview ist ein Auszug aus einer Folge des The smarter E Podcasts. Das vollständige Interview können Sie hier anhören.

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