Smarte Schaltstationen bringen Licht ins Verteilnetz

Branchenneuigkeiten – 20. Februar 2023

Mitnetz Strom betreut in ihrem Netzgebiet über 16.000 Transformatorenstationen. Deutschlandweit gibt es rund 600.000 Stück.

Die Energiewende macht die Stromverteilung komplexer. Um die Stromnetze besser überwachen und die Energieflüsse steuern zu können, müssen die Netze intelligenter werden. Digitale Trafostationen spielen dabei eine wesentliche Rolle. Werfen Sie mit uns einen Blick auf und in die smarten Schaltstationen.

In Burladingen geht bald die Schaltanlage der Zukunft ans Netz. Bis Ende 2023 will Verteilnetzbetreiber Netze BW das Umspannwerk, das gut eine Autostunde südlich von Stuttgart liegt, in Betrieb nehmen. Das Werk transformiert den Strom aus dem überregionalen 110.000-Volt-Hochspannungsnetz auf die Spannung für das regionale Mittelspannungsnetz. Über die Mittelspannungsebene können hier zukünftig größere EEG-Einspeiser direkt ins Stromnetz eingebunden werden. Der neue Knotenpunkt zwischen Übertragung- und Verteilnetz verfügt über zwei rund 70 Tonnen schwere Transformatoren mit modernster Schutz- und Leittechnik: Die Kommunikation erfolgt via Glasfaser, integrierte Sensoren versorgen über die Cloud einen digitalen Zwilling in Echtzeit mit Zustandsdaten. Und die Hochspannungsanlage kommt ohne das Treibhausgas Schwefelhexafluorid (SF6) aus, das in vielen modernen Schaltungen verwendet wird. Stattdessen wird im System mit gereinigter und komprimierter Luft isoliert. Elf Millionen Euro hat der Netzbetreiber dafür investiert

Mehr Vielfalt, mehr Herausforderungen für das Netz

Im Zuge der Energiewende kommen enorme Herausforderungen auf die Netzbetreiber zu. Einerseits erzeugen immer mehr Prosumer mit Photovoltaikanlagen auf dem eigenen Dach dezentral Strom, der zum Teil vor Ort verbraucht und zum Teil ins Netz eingespeist wird. Andererseits muss der Strom, etwa aus Windkraft von hoher See, über weite Strecken in Ballungsräume transportiert werden. Dazu kommt, dass der wachsende Anteil an erneuerbaren Energien die Stromerzeugung immer volatiler macht. Gleichzeitig führt die zunehmende Elektrifizierung im Verkehrs- und Wärmesektor zu einer stetig wachsenden Nachfrage nach Strom.

Weil immer mehr Erzeuger und Verbraucher im Verteilnetz angeschlossen werden, braucht es gerade hier schnell mehr Intelligenz. „Die Energiewende spielt sich im Niederspannungsnetz ab“, bestätigt Ulrich Hempen, Vice President Business Unit Solutions bei WAGO Kontakttechnik, der kürzlich im The smarter E Podcast zu Gast war. Darum müsse besonders diese Netzebene transparent gemacht werden. Trafostationen spielen hierbei eine wichtige Rolle. „Wenn in einem Dorf alle Hausbesitzer eine Photovoltaik-Anlage installieren würden, wäre eine herkömmliche Trafostation nicht in der Lage, die bidirektionalen Energieflüsse zu handeln“, erklärt Hempen. Hierfür müssten die Trafos digitalisiert werden.

Allein in Deutschland gibt es schätzungsweise etwa 600.000 Trafo- bzw. Ortsnetzstationen. Sie unterscheiden sich im Grad der Digitalisierung und in den Anwendungsfällen. Einfache Systeme zielen auf eine zustandsorientierte Wartung und beschränken sich daher auf die reine Überwachung von Betriebsdaten. "Fortgeschrittene Systeme können Betreibern auch bei täglichen operativen Entscheidungen helfen", weiß Netzexperte Lasse Kleinjohann von Siemens Energy. Seine Position nennt sich neudeutsch: Head of Customer Operations & Engagement, Digital Grid, IoT & Edge.

Von Trafohäuschen zu digiONS

Digitale Ortsnetzstationen, in Fachkreisen als digiONS bezeichnet, sind für smarte Netze in der Mittel- und Niederspannungsebene essenziell. Sie unterscheiden sich dabei erheblich von herkömmlichen Ortsnetzstationen. „Eine wichtige neue Funktion ist dabei die Steuerbarkeit der Schaltgeräte in den Mittelspannungszellen“, sagt Carsten Ziegler, Sprecher bei der Mitteldeutschen Netzgesellschaft (Mitnetz) Strom, die zum E.ON-Konzern gehört – nach eigenen Angaben einer der größten Verteilnetzbetreiber Europas. Diese Zellen sind Teil der Schaltanlage und stellen eine Verbindung zum vorhandenen Versorgungsnetz her. So sei es möglich, jeden einzelnen Lasttrennschalter via Befehl aus der Zentralen Leitstelle zu schließen oder zu öffnen. Darüber hinaus werden sämtliche Kabelabgänge, sowohl in der Mittel- als auch in der Niederspannungsebene, messtechnisch erfasst.

Die digiONS messen Spannungs- und Lastverhältnisse im Niederspannungsnetz. So weiß der Netzbetreiber jederzeit, wie das Stromnetz ausgelastet ist.

Nur jede fünfte Station muss smart sein

Diese Erfassung bildet erst die Basis, um einen flächendeckenden Einblick in die Lastvorgänge im Stromnetz zu bekommen. Und nur mit diesem Wissen können Techniker zukünftig volatile Öko-Energien richtig steuern. Eine große Herausforderung liegt in der Verwertung dieser Daten, um die Leistungsflüsse im Netz zu managen.

„Für eine flächendeckende Steuer- und Beobachtbarkeit der Netze müssen nicht alle Ortsnetzstationen digitalisiert werden“, erklärt Ziegler. Bis 2026 will Mitnetz Strom sein Mittelspannungsnetz zu 100 Prozent beobachtbar machen. Dafür reicht nach heutiger Einschätzung ein Anteil von 20 Prozent digiONS an allen Ortsnetzstationen. Weitere zehn Prozent der normalen Transformatoren müssen ein Upgrade erhalten, sodass diese ebenfalls Messwerte liefern können. Zusätzlich nutzt der Netzbetreiber noch Kundenstationen, welche ebenfalls messtechnisch erschlossen sind. Die Auswahl der Messpunkte wird im Vorfeld so geplant, dass nicht alle Ortsnetzstationen messtechnisch erfasst werden müssen, um eine volle Beobachtbarkeit im Mittelspannungsnetz zu erreichen. „Bei einer geeigneten Auswahl der Messpunkte, werden alle Teile des Netzes ohne intelligente Messtechnik durch komplexe Algorithmen simuliert und somit ebenfalls beobachtbar“, erläutert Ziegler. Parallel zu der vollständigen Beobachtbarkeit im Mittelspannungsnetz will der Netzbetreiber auch 30 Prozent des Niederspannungsnetzes beobachtbar gestalten. Dafür reicht es ebenfalls, wenn insgesamt 30 Prozent der Trafostationen mit intelligenter Messtechnik ausgerüstet sind.

„Die im E.ON-Konzern verbauten digiONS sind in ihrem Funktionsspektrum immer gleich“, berichtet Ziegler. Da der Verteilnetzbetreiber diese von mehreren Komponentenherstellern bezieht, unterscheiden sich zum Teil die verwendeten Bauelemente. Diese führt jedoch nur zu unterschiedlichen Wartungs- und Instandhaltungsmaßnahmen. Eine digiONS ist an sich immer vollständig modular aufgebaut. Jedes Bauelement kann per Plug-and-Play-Verfahren ersetzt werden. Dadurch verkürzt sich der zeitliche Aufwand einer Fehlerbehebung auf ein Minimum.

Trafostationen schrittweise digitalisieren

Die herkömmlichen Trafostationen im Feld können und werden teils ebenfalls digitalisiert. Dafür müssen jedoch gewisse technische Voraussetzungen erfüllt sein. Für eine nachträgliche Digitalisierung werden entsprechende Nachrüstsätze verwendet, welche in Fachkreisen als Retrofit bezeichnet werden. Diese Umrüstung kann auch stufenweise erfolgen. „Die volle Funktionalität im Vergleich zur digiONS wird aber die Ausnahme bleiben, denn auch hier liegt der Fokus auf der Beobachtbarkeit der Niederspannung“, sagt Ziegler.

Bei bestehenden Trafostationen erfolgt zuerst eine Bestandsaufnahme der bestehenden Technologien, beispielsweise bei Sensorik und Kommunikationstechnik. Darauf basierend wird die Aufrüstung dann umgesetzt. „Für bestimmte Funktionen sind allerdings die Auslegungsdaten des Herstellers nötig. Bei Trafo-Modellen, die älter als 15 Jahre sind, können diese jedoch oftmals nicht mehr beschafft werden“, berichtet der Siemens-Manager Kleinjohann aus der Praxis.

Hohe Nachfrage verlängert Lieferzeiten

Der Bedarf für die Digitalisierung der Netze ist groß, entsprechend sind die Lieferzeiträume für smarte Transformatoren derzeit deutlich länger als üblich. „Die Nachfrage nach Transformation und Komponenten ist derzeit sehr hoch, da nun auch Netzbetreiber bei uns bestellen. Wir liefern in großen Mengen Trafos innerhalb von etwa zwölf Wochen und Stationen innerhalb von 16 bis 18 Wochen“, bestätigt Gerhard Irlesberger. Er arbeitet als Leiter für Projektplanung und -steuerung bei der Troja Europe. Die Firma bietet sowohl Trafos und Trafostationen bis hin zu großen Umspannwerken an sowie den Anschluss der Stationen. Andere Anbieter haben derzeit teilweise Lieferzeiten von bis zu einem Jahr und länger.

Mitnetz Strom ist davon nicht betroffen. „Aufgrund der frühzeitigen Order haben wir alle bestellten smarten Transformatoren wie geplant erhalten“, zeigt sich Ziegler zufrieden. So konnte sein Unternehmen dieses Jahr bereits rund 200 digiONS ins Netz der enviaM-Gruppe in Ostdeutschland einbringen. Und dies wird auch 2023 so sein. „Durch eine realistische und vorausschauende Planung ist das Erreichen des Einbaus der prognostizierten Stückzahl sehr wahrscheinlich“, bestätigt der Sprecher. Das Umrüsten der Transformatoren läuft in der Planung parallel zum Ausbau von Ökoenergieanlagen, Wärmepumpen und der Ladeinfrastruktur für E-Mobilität. Die Maßnahmen seien also aufeinander abgestimmt, sagt Ziegler.

Intelligent schalten und walten

Intelligente Transformatoren erfassen kontinuierlich Daten und erhöhen damit die Transparenz über Zustands- und Betriebsdaten und ihre thermische Belastung. Unter anderem werden die Alterung des Systems sowie Fehlfunktionen und notwendige Wartungsmaßnahmen erfasst. Mithilfe von virtuellen Modellen (digitale Zwillinge) der Transformatoren lassen sich Betriebspunkte, Lastprofile und Überlast-Szenarien auf Basis der aktuellen Betriebswerte simulieren. So werden operative Entscheidungen datenbasiert getroffen und gleichzeitig die Auswirkungen auf Lebensdauer und Instandhaltungsmaßnahmen erfasst. Alle Daten über das Stromnetz, wie beispielsweise Prognosen zur Auslastung und Verbrauchsanforderungen werden beim Netzbetreiber zusammengeführt.

Mehr Transparenz ermöglicht auch einen flexibleren Betrieb

Denn in Zukunft wird eine noch engere Vernetzung der Netzbetreiber mit Erzeugern und Verbrauchern wichtig sein, um auf Basis der Nachfrage und Erzeugung automatisiert intelligente Entscheidungen treffen zu können. „Intelligente, digitalisierte Transformatoren beziehungsweise Ortsnetzstationen helfen Netzbetreibern nun dabei, mehr betriebliche Transparenz sowie einen flexiblen Betrieb zu ermöglichen“, sagt Kleinjohann von Siemens Energy.

Die Intelligenz ermöglicht einen Blick ins bisher eher blinde Verteilnetz. Durch die Simulation der Betriebspunkte können Schwankungen im Netz kontrolliert und ausgeglichen werden. „Transformatoren können dabei sogar in kontrollierter Überlast gefahren werden, ohne das Risiko von Schäden an den Geräten eingehen zu müssen“, beschreibt Kleinjohann einen Vorteil. Er empfiehlt, die technologischen Grundlagen für digitale intelligente Transformatoren bei allen neuen Transformatoren einzuplanen, selbst wenn die Funktionen heute noch nicht vollumfänglich benötigt werden. In Pilotprojekten setzt Siemens nun bereits sogenanntes Maschinelles Lernen ein, um mehr aus den bestehenden Daten abzuleiten. Wie bei der Schaltanlage der Zukunft von Siemens, die bald in Burladingen ihren Dienst antreten soll.

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