Start-up-Interview: „Das ist ein Schritt wie vor hundert Jahren“

Start-up Stories – Dienstag, 02. Juni 2020

Erster eichfähiger Zähler erfasst verbrauchsabhängige Lüftungskosten

Jens Amberg bei der Inbetriebnahme eines Luftenergiezählers

Im Gewerbe werden die Lüftungskosten von Klimaanlagen, die mehrere Verbraucher versorgen, bislang pauschal über die klimatisierte Fläche abgerechnet. Das ist oft ungerecht und fördert Verschwendung. Das junge Unternehmen Luftmeister aus Kirchzarten im Schwarzwald hat mit seinem Luftenergiezähler die weltweit erste und bislang einzige eichfähige Methode entwickelt, die Lüftungskosten nach Verbrauch abzurechnen. Auch für die Abwärmenutzung in der Industrie wird das Gerät eingesetzt. Im Interview erklärt Geschäftsführer Jens Amberg, wie das funktioniert.

Herr Amberg, Ihr Luftenergiezähler ist der weltweit erste, geeichte Verbrauchszähler für Klimaanlagen. Was macht ihn so einzigartig?

Wenn in einer größeren Immobilie mehrere Parteien über eine Klimaanlage versorgt werden, hat man die Kosten dafür bisher pauschal über die genutzte Fläche abgerechnet. Wer verschwenderisch ist und wer sparsam, spielt dabei keine Rolle. Mit unseren Luftenergiezählern können die Lüftungskosten verbrauchsabhängig abgerechnet werden. Das ist gerechter für den Einzelnen und es ist besser für die Nachhaltigkeit. Außerdem messen wir mit unseren Geräten zu jeder Zeit den Volumenstrom, die Temperatur und die Feuchte. Der Kunde weiß also, was er zu welchem Zeitpunkt geliefert bekommt. Das bringt Frieden und Klarheit ins Haus, denn über die richtige Klimatisierung wird mitunter viel gestritten. Gerade Mieter großer Flächen wollen bisher oft lieber eine eigene Klimaanlage, um nur ihren tatsächlichen Verbrauch zu bezahlen und die Luftliefer-Paramater im Griff zu haben.

Stichwort Nachhaltigkeit: Wie viel Energie lässt sich durch die Nutzung des Luftmeisters einsparen?

Allein dadurch, dass sich Nutzer ihres Verbrauchs bewusstwerden, sind 10% Ersparnis absolut realistisch. Mit unserer Messtechnik kann man aber zum Beispiel auch schauen, ob die Klimaanlage korrekt geregelt wird. Man erkennt Effizienzlücken. Wer diese Funktion nutzt, kann weitere 10-15% Energie sparen.

Können Sie kurz beschreiben, wie die verbrauchsbasierte Lüftungskostenabrechnung funktioniert?

Man hat eine Klimaanlage, die liefert zum Beispiel an fünf verschiedene Bürobereiche fertig aufbereitete Klimaluft. In den fünf Zuluftleitungen, die zu den fünf Zonen gehen, ist jeweils ein Luftenergiezähler installiert. Der misst den Durchfluss und den Wärmeinhalt, die Enthalpie. Außerdem wird gemessen, wie groß die Enthalpie der Außenluft ist. Das ist die kostenlose Luft, die die Klimaanlage dann aufbereitet, kühlt oder wärmt und in die Büros bläst. Aus den Informationen, wie sich der Wärmeinhalt zwischen der Außenluft und der Zuluft geändert hat und wie viel Luft gerade geliefert wird, können wir berechnen, wie viel der Einzelne erhalten hat – an Luftmenge, aber auch an Kälte- oder Wärmelieferung. Das ist die Basis, um eine Monats- oder Jahresrechnung aufzustellen. Die Unterscheidung zwischen Wärme- und Kältelieferung ist wichtig, weil das Kühlen fast immer teurer ist. Auf diese Weise wird nicht die ganze Luftlieferung über einen Kamm geschoren, sondern man kann die entsprechenden Kosten verbrauchsgerecht abrechnen.

Wo wird der Luftenergiezähler vorwiegend genutzt?

Wir sind in zwei verschiedenen Branchen unterwegs: Zum einen im Gewerbebau, also überall dort, wo es darum geht, mit Hilfe unserer eichfähigen Zähler die Lüftungskosten einer Klimaanlage zu verteilen. Das sind vor allem Bürogebäude, Einkaufszentren, Krankenhäuser oder Laborgebäude.

Unser zweites Einsatzgebiet ist das Messen von Abwärme. Durch die steigende Bedeutung von Energiemonitoring und Energieaudits spielt die Abwärmenutzung, zum Beispiel aus einer Halle oder einem industriellen Prozess eine immer größere Rolle. Mit unseren Geräten können wir feststellen, welche Wärmemenge in der Ab- oder Fortluft verfügbar ist und ob sich eine Wärmerückgewinnung lohnt. Diese lässt sich mit unseren Daten passgenau auslegen und im Betrieb optimieren. Hier haben wir Kunden aus dem Bereich Food & Pharma, aber auch aus der Heavy Duty Industrie, wie Aluminium- oder Keramikwerke bis hin zu metallverarbeitenden Unternehmen.

95% unserer Kunden sind in Deutschland, der Rest in Österreich, der Schweiz und Frankreich. Wir sind gerade bei, entsprechende Partnerschaften aufzubauen, um noch internationaler zu werden.

In welchem der beiden Anwendungsbereiche erleben Sie im Moment die größere Dynamik?

Bei der Klimatechnik haben wir ein Alleinstellungsmerkmal, weil da vorher gar keine Zähler und keine Eichgröße existierten. Wir haben weltweit den ersten eichbaren Zähler auf den Markt gebracht. Das ist ein Schritt wie vor hundert Jahren, als es die ersten Wasserzähler auf der Welt gab. Das ist der ganz große Hingucker. Die andere Seite der Abwärmenutzung ist im Zuge der Energiewende aber natürlich auch hochinteressant.

Wenn Sie im Gewerbebau Ihr System installieren, was gehört da alles dazu?

In der Zuluft jeder Verbrauchszone sitzen ein Luftenergiezähler und ein Enthalpiefühler. Der Energiezähler ist das Gerät, das den Durchfluss und noch ein paar andere Parameter misst. Beim Enthalpiefühler geht es um den Wärmeinhalt der Luft. Dann installieren wir noch einen Enthalpiefühler an der Außenluft, um zu wissen, in welchem Maß geheizt oder gekühlt wurde. Die Fühler sind miteinander verdrahtet und senden ihre Signale außerdem nach oben an die Gebäudeleittechnik bzw. zur Zählerzentrale. Wir haben also kein zentrales Luftmeistergerät, in dem alles zusammenläuft, sondern genauso viele Luftenergiezähler wie es Zonen bzw. Verbraucher gibt, die erfasst werden.

Die Fühler sind verdrahtet, würde das auch mit Funk gehen oder ist das für die Zukunft eine Variante?

Das haben wir natürlich auch alles durchdacht. Wir sprechen aber über sehr viele unterschiedliche Gebäudetypen, bei denen es ein großer Nachteil wäre, wenn da Funkverbindungen unterbrochen werden. Das Funkthema ist vor allem interessant, wenn es ums Zählerablesen geht, wie man es von Mietwohnungen kennt. Wir haben mit großen Bürogebäuden oder Einkaufszentren zu tun. Wenn die Kabel da einmal verlegt sind, laufen die Geräte krisensicher und ohne Unterbrechung, und die Ablesung erfolgt am zentralen System, dem unsere Luftenergiezähler die Werte ständig liefern.

Braucht es für die Abrechnung eine bestimmte Software?

Nein. Unser Messgerät hat natürlich eine Software, mit der es die Sensordaten auswertet, außerdem haben wir eine PC-Software, womit wir das System parametrieren und auslesen können. In der Dauermesseinrichtung sendet unser Luftenergiezähler genauso wie Wasserzähler, Wärmezähler etc. seine Messsignale an die Gebäudeleittechnik oder eine Zählerzentrale. Dafür haben wir vielfältige Kommunikationsmöglichkeiten implementiert.

Kann der einzelne Kunde, z.B. der Betreiber eines Geschäfts, auf einem Display ablesen, wie viel Wärme oder Kälte er gerade bekommt?

Ja, diese Werte können direkt auf dem Display des Luftenergiezählers abgelesen werden. Im Normalfall will der einzelne Nutzer aber eher Sammelinformationen, wie den Monatsverlauf, erhalten. Wir hatten aber auch schon Projekte, da wollte zum Beispiel eine große Bekleidungskette, dass der Shop-Manager diese Werte in sein Büro geliefert bekommt. Das ist machbar.

Wie kam es zur Entwicklung des Luftenergiezählers und zur Gründung des Unternehmens Luftmeister?

Ich war einer der drei Geschäftsführer bei Halstrup-Walcher, einem Unternehmen für Mess- und Antriebstechnik in Kirchzarten bei Freiburg, und dort für Innovation zuständig, als mir diese Marktlücke bei der Verbrauchserfassung von Klimaanlagen auffiel. Ich habe mir Gedanken darüber gemacht und eine Lösung entwickelt. Aus mehreren Ideen sind fünf Patente geworden. Dabei geht es um viele technische und verfahrenstechnische Details. Weil der Markt vielversprechend war und das Projekt nicht so richtig zur Vertriebsstruktur gepasst hat, haben Herr Walcher und ich vor vier Jahren schließlich ein eigenes Unternehmen dafür gegründet, die Luftmeister GmbH. Damit war es auch einfacher an Venture-Capital zu kommen, denn die Entwicklung war teuer. Heute sind so renommierte Unternehmen wie Energie 360°/SEIF aus Zürich und Danpower aus Potsdam unsere Mitgesellschafter.

Aber woher wussten Sie, dass ein Bedarf für so einen Verbrauchszähler besteht?

Im Grunde durch zahlreiche Kundengespräche. Bei Halstrup-Walcher gab es bereits einen Volumenstrommesser. Das ist sozusagen ein kleiner Bruder des Luftenergiezählers, mit dem sich der Luftdurchfluss messen lässt. Dadurch hatten wir ähnliche, teilweise auch die gleichen Kunden wie heute. Die haben gesagt, es ist ja schön und gut, wenn man messen kann, wie viel Luft, also m³/h durch eine Luftleitung fließt, aber am Ende des Tages ist das ein teures Medium, da wäre ein Zähler toll! So hat eins das andere ergeben, die Anforderungen wurden klarer, bis hin zu dem Aspekt, dass man eine Eichzulassung braucht, wenn man ein Gerät auf den Markt bringt, nach dem man einen Verbrauch abrechnen will.

Zusammen mit einem Enthalpiefühler misst der Luftenergiezähler ständig Volumenstrom, Temperatur, Luftdruck und Feuchte.

Warum hat sich vor Ihnen noch keiner mit dieser Problematik beschäftigt?

Das müssten Sie eigentlich alle anderen Leute fragen statt mich. Aber Scherz beiseite. Das ist vielleicht der Tatsache geschuldet, dass die Sache messtechnisch ziemlich komplex ist. Luftleitungen laufen nicht immer geradeaus, da gibt es oft Krümmer, Kurven und Reduzierstücke. Allein von der Leitungsgeometrie her ist es extrem schwierig, einen Durchfluss sauber zu messen. Dazu kommt, dass die Klimatisierungsluft im Vergleich zu Druckluft oder Wasser viel langsamer strömt, auch das macht die Durchflussmessung schwierig. Drittens geht es nicht nur um die Luftmenge, sondern auch um die Energiemenge, die Wärme, die unterwegs ist. Beim Wasser reicht es, die Vor- und Rücklauftemperatur zu kennen. Bei der Luft braucht man die Enthalpie, für die man Temperatur, Luftdruck und -feuchte messen muss. Das sind nur die technischen Hürden, die sicher dazu geführt haben, dass sich da bisher keiner so richtig dran getraut hat. Abgesehen davon sprechen wir von einem komplett neuen Markt, für den es keine Ausschreibungen, keine konkreten Anfragen gab.

Was war für Sie noch besonders herausfordernd, von der Technik einmal abgesehen?

Als es um das Thema Eichzulassung ging, standen wir vor dem Problem, dass diese gar nicht erteilt werden kann, wenn es keine Prüfvorschrift gibt. Man kann immer nur etwas zulassen, wenn man dafür die Anforderungsliste einer Zulassungsnorm abhaken kann. Und diese Liste, die Prüfvorschrift, gab es nicht. Darum musste ich erst einmal eine DIN-Norm auf den Weg bringen, in der die Mindestanforderungen drinstehen: Welche Genauigkeit muss das Messgerät erfüllen, wie baut man es ein, und vor allem, wie müssen es die Prüfstellen testen? Allein diese DIN-94701 hat zweieinhalb Jahre Zeit gekostet, das war schon ein sehr dickes Brett. Auf dieser Basis liegt uns nun die Eichzulassung vor, die sich Baumuster-Prüfbescheinigung nennt.

Und für mich persönlich war es eine große organisatorische Herausforderung, plötzlich in einem ganz kleinen Unternehmen, am Anfang eine One-Man-Show, alle Aufgaben unter einen Hut zu bringen: Die Entwicklung der Messtechnik zu steuern, den Markt vorzubereiten, Aufträge zu akquirieren und auch abzuwickeln, bis zur Montage und Inbetriebnahme vor Ort. Ich war als jahrelanger Angestellter die arbeitsteilige Organisation von Großunternehmen gewohnt und musste dann plötzlich komplett alles selbst machen. Es ist spannend und befriedigend, wenn es läuft. Aber ich musste erst einmal schauen, wie sortiere ich mich, was mache ich zuerst, was mache ich als zweites? Für manches gibt es Dienstleister, z.B. für IT oder Buchführung, aber auch die muss man anfragen, beauftragen und beaufsichtigen.

Welche Ziele hat Ihr Unternehmen in den nächsten drei Jahren?

Zunächst wollen wir unseren neuen Standard wirklich breit im Markt einführen. Unser Hauptziel ist, so bekannt zu werden, dass Luftmeister bei allen relevanten Neuprojekten zumindest einmal angedacht wird. Parallel dazu wollen wir auch beim Thema Abwärme in der Industrie unsere Bekanntheit und die Zahl der Projekte steigern. Ich denke, so in drei Jahren werden wir nicht mehr zu viert, sondern zu zehnt oder zwölft bei Luftmeister sein. Sicher wird dabei hilfreich sein, dass die neue VDI-Richtlinie 2077 Blatt 4 die verbrauchsbasierte Lüftungskostenabrechnung zum Stand der Technik erhoben hat. Und natürlich helfen auch Awards, wie der erste Preis beim „Umwelttechnikpreis Baden-Württemberg“, den wir 2019 gewonnen haben.

Das Interview führte Simone Pabst.

Weitere Informationen: Luftmeister

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