Start-up-Interview: „Es ist faszinierend zu sehen, wie viel Strom wofür verbraucht wird“

Start-up Stories – Freitag, 10. Januar 2020

Einfach und unkompliziert temporär Stromflüsse messen, das wollten Annett Keith und David Eitzinger, die 2016 das Berliner Energieinstitut gründeten. Da sie auf dem Markt kein geeignetes Messgerät fanden, entwickelten sie einfach selbst eines. Im Interview erzählt David Eitzinger, warum der Emonio eine Marktlücke füllt und mit seinen Messergebnissen immer wieder für Überraschungen sorgt.

David Eitzinger, Berliner Energieinstitut

Als Start-up waren Sie 2019 zum ersten Mal auf der EM-Power dabei und waren überwältigt von drei Tagen Daueransturm auf Ihren Messestand. Sie erzählten damals, dass etliche Kunden den Koffer, den Sie dabeihatten, gleich mitnehmen wollten. Was war da drin?

Ja, das war eine der größten Überraschungen für uns. Etliche Kunden kamen und wollten unseren Messkoffer gleich mitnehmen, manche direkt mit Geldscheinen in der Hand. In dem Koffer war unser Energiemessegerät, der Emonio.

Was kann das Gerät, was andere nicht können?

Der Emonio ist klein, kompakt und günstig. Das ist das wichtiges Unterscheidungsmerkmal. Es gibt nur zwei, drei Unternehmen, die etwas Ähnliches machen, direkt vergleichbar sind deren Geräte aber nicht. Wir hatten uns bei der Entwicklung vorgenommen, alle Sachen wegzulassen, die nicht unbedingt notwendig sind. Im Prinzip ist der Emonio ein kleiner Computer, der mit einem Energiemesschip verbunden ist. Er bekommt seine Spannungsversorgung direkt von den Messleitungen. Man schließt die Spannungsleitungen an und schon ist das Gerät in Betrieb und misst. Dafür braucht es keine extra Steckdose. Und wir haben auch keinen Akku, der die Lebens- oder Aufzeichnungsdauer beschränken würde. Das Gerät ist so konzipiert, dass es sich mit minimalem Aufwand ein- und ausbauen lässt. Die Spannungsversorgung muss dazu nicht unterbrochen werden. Außerdem ist der Emonio an der Rückseite magnetisch, so dass man ihn innen an die Klappe des Elektroverteilers heften kann. Er zeichnet die Messdaten intern auf und kann sie, wenn WLAN vorhanden ist, an unser Online-Portal übertragen. Die Bedienung ist ausschließlich über Laptop oder Smartphone möglich, denn das Gerät selbst hat kein Display. Das haben wir bewusst eingespart, weil es Geld kostet und das Produkt teurer macht. Da das Gerät zu 99% seiner Zeit in einem dunklen Verteilerkasten hängt und Daten aufzeichnet, würde man es auch kaum brauchen.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dass genau so ein Gerät auf dem Markt fehlt?

Bevor wir das Berliner Energieinstitut 2016 gegründet haben, hatte meine Kollegin, Annett Keith, schon seit längerem Energie- und Effizienzberatungen für Unternehmen durchgeführt. Aber bei den Beratungen hat sich immer gezeigt: Es ist zwar schön und gut, durch die Betriebe zu gehen, Typenschilder zu fotografieren und Einschaltzeiten zu schätzen. Aber besser wäre es doch, wenn man genau wüsste, wie viel Strom die ganzen Geräte brauchen.

Mit dieser Fragestellung kam ich zur Firma: Kann man das irgendwie messen? Dafür muss es doch Technik geben, abgesehen vom Stromzähler, der irgendwo hängt. Wir haben erst einmal ein Jahr lang mit einer Open-Source-Hardware aus England experimentiert, die war aber viel zu kompliziert in der Handhabung, um sie einem Kunden in die Hand geben zu können. Es gab auch technische Mängel. Darum haben wir uns entschlossen, selbst ein geeignetes Gerät zu entwickelten.

Wie ging es dann weiter?

Wir haben einen Prototyp entwickelt und im gleichen Jahr, 2016, das Berliner Energieinstitut gegründet. Seitdem haben wir zwei Standbeine: die Energieberatung und die Messtechnik. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal – wir sind Energieberater und haben ein maßgeschneidertes Gerät für adhoc-Messungen entwickelt.

Wie funktioniert nun die unterbrechungsfreie Messung?

Der Emonio misst den Wechselstrom und die Spannung und ermittelt daraus die elektrische Leistung und den Stromverbrauch. Für die Spannungsmessung benutzen wir verschiedene Klemmen für die Kontakte bzw. Magnetspitzen, um an den Hauptkontakt zu gehen. Für die Strommessung verwenden wir zwei verschiedenen Technologien. Die Rogowski-Spule ist eine flexible, schlauchartige Schleife, die man um einen Leiter oder um ein stromführendes Kabel legt. Sie misst induktiv. Die andere Möglichkeit ist ein Klappstromwandler. Das ist nichts anderes als ein Transformator, den man zuklappen kann. Er ist preisgünstiger als eine Rogowski-Spule, dafür in der Handhabung aber nicht so flexibel. Für kleine Ströme ist er prima, aber wenn man ein armdickes Kabel hat, wird es schwierig, weil der Klappstromwandler dann ein starrer, schwerer Metallkörper ist, den ich um dieses Kabel herumlegen muss.

Der Emonio misst den Strom mit Rogowski-Spulen oder Klappstromwandlern. Dafür muss die Stromversorgung nicht unterbrochen, kein Kabel durchtrennt und keine extra Steckdose in den Verteilerkasten gelegt werden

Und wo wird gemessen?

Im Regelfall immer am Verteiler. Die Geräte sind ja vorwiegend in der Industrie im Einsatz, von kleinen bis mittleren Unternehmen (KMU) bis hin zur Schwerindustrie. Die haben mehrere Verteilerstufen. In der Hauptverteilung lässt sich mit großen Rogowski-Schleifen für 1.000 A oder mehr der Energiebedarf des kompletten Betriebs messen und wieviel von dort zu den einzelnen Unterverteilern fließt. Von denen gibt es meist mehrere in einer Produktionshalle. An einem Unterverteiler hängen verschiedene Verbraucher dran, zum Beispiel eine Lackiererei, zwei Förderbänder und ein Kran. Wenn ich wissen will, wie viel Strom die einzeln benötigen, messe ich mit einem weiteren Emonio an den jeweiligen Kabelabgängen der Anlagen.

Auf diese Weise lässt sich ein kompletter Produktionsablauf durchmessen, nicht nur 24 Stunden, sondern mehrere Wochen lang. So bekommt man heraus, wie viel Energie eine Anlage benötigt, wenn der Betrieb voll oder halb ausgelastet ist. Und, ob die Anlagen und Maschinen auch so funktionieren, wie es erwartet wird. Bei unseren Messungen finden wir eigentlich immer ein Gerät oder einen Ablauf der fehlerhaft ist.

Haben Sie ein Beispiel dafür?

Wir erleben immer wieder Überraschungen. Zum Beispiel, wenn man feststellt, dass der große Abteilungs-Laserdrucker, der die meiste Zeit im Stand-by ist, immer zweimal in der Stunde plötzlich viel Strom zieht. Dann schaltet er sich nämlich automatisch ein, heizt seine Bildtrommel auf 170 Grad auf und lässt sie dann wieder abkühlen. Wegen der Haltbarkeit machen das viele Laserdrucker so.

Ein anderes Beispiel ist eine Lackierkabine, die eigentlich mit Gas beheizt werden soll und nur in Spitzenzeiten elektrisch. Bei den Messungen stellt sich heraus, dass es genau umgekehrt ist. So etwas kann man natürlich nicht herausfinden, wenn man nur aufs Typenschild schaut. Das macht unsere Arbeit auch so spannend.

KMU und Schwerindustrie haben Sie schon als Kunden erwähnt, für wen und für welche Anwendungen ist das Gerät noch interessant?

Der Emonio wird überall eingesetzt, wo man temporär, aber dennoch sehr genau den Stromverbrauch ermitteln möchte. Das sind zum Beispiel KMUs oder Start-up-Betriebe, die effizienter oder CO2-neutral werden wollen. Dann haben wir Energieberater als Kunden, die Effizienzmaßnahmen umsetzen oder Audits in größeren Betrieben machen. Eine große Kundengruppe sind außerdem Stadtwerke, die die Geräte entweder selbst für Effizienzmaßnahmen einsetzen oder Betriebe und Endkunden beraten. Zum Beispiel, wenn es darum geht, dass jemand eine Solaranlage, ein BHKW oder einen Batteriespeicher errichten will. Wenn man weiß, wann wie viel Energie benötigt wird, kann man die Anlagen wirklich bedarfsgerecht dimensionieren. Einfach nur den Jahresverbrauch an Strom zu kennen, reicht in diesem Fall nicht.

Sehr beliebt ist der Einsatz auch für Inselanlagen im Ausland, beispielsweise Solaranlagen und Generatoren in Afrika. Dort überwacht der Emonio die Anlagen. Gerade in den letzten Monaten haben wir etliche Geräte nach Nigeria und in den arabischen Raum geschickt.

Das ist dann aber kein temporärer Einsatz mehr, oder?

Ja, die Geräte sind dann oft dauerhaft im Einsatz. Aber auch temporär, wenn eine Anlage neu errichtetet oder adaptiert wird, zum Beispiel Hybridanlagen aus alten Dieselgeneratoren und PV-Modulen in abgelegenen Hotel-Lodges oder Produktionsstätten.

Ganz neu haben wir zwei Projekte bei Stadtwerken, die ihre Trafostationen mit unseren Messegeräten ausstatten wollen, um hier genauere Daten über ihr eigenes Netz zu erhalten. Das ist eine sehr interessante Anwendung. Auf diese Weise können die Stadtwerke messen, wie stark das Verteilnetz pro Straßenzug ausgelastet ist. Wo gibt es genügend Reserven und wo wird es knapp, wenn eines Tages viele ihr Elektroauto laden wollen? Das geht dann schon in Richtung Smart Grid.

Woran arbeitet das Berliner Energieinstitut in den nächsten zwei, drei Jahren?

Wir haben jetzt gerade drei neue Gerätetypen in der Pipeline. Eins kommt wahrscheinlich dieses Jahr noch raus, die anderen zwei nächstes Jahr. Es sind Varianten unseres jetzigen Messgeräts, die eine größere Leistungsfähigkeit haben bzw. Bluetooth unterstützen und über eine App bedient werden können. Und weil das Gerät mittlerweile sehr ausgereift ist, wollen wir den Focus in Zukunft auf die Software im Hintergrund legen, sprich unsere Online-Lösung, mit der man die Daten auswerten kann. Außerdem richten wir uns verstärkt international aus. Bisher sind wir noch ziemlich auf Deutschland und Österreich fixiert, aber immer mehr Anfragen kommen aus Afrika, das für uns ein sehr spannender Markt ist.

Nach Ihrer erfolgreichen Teilnahme in diesem Jahr haben Sie sich gleich wieder für die EM-Power 2020 als Start-up angemeldet. Was hat Sie so überzeugt?

Wir waren absolut begeistert. Ich habe mir drei Tage lang den Mund fusselig geredet, weil am Stand so viel los war. Daraus haben sich sehr viele, äußerst gute Business-Kontakte ergeben, es war spannend. Außerdem war es auch super zu sehen, was es sonst so gibt. Da war es für uns überhaupt keine Frage, dass wir wieder dabei sein wollen.

Das Interview führte Simone Pabst

Weitere Informationen: Berliner Energieinstitut und Emonio

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