Start-up-Interview: „Wir wollen die Industrie dekarbonisieren“

Start-up Stories – Montag, 09. November 2020

Kraftblock entwickelt effizienten Hochtemperatur-Energiespeicher

Dr. Martin Schichtel ist promovierter Chemiker. Das von ihm entwickelte Granulat kann bis zu 1.300°C speichern. Es besteht zu 85% aus Recycling-Material wie Hochofen-Schlacken.

Vor allem in der Industrie gehen nach wie vor große Mengen an Abwärme ungenutzt verloren. Diese Wärme will das Start-up Kraftblock mit seinem gleichnamigen thermischen Speicher nutzbar machen, bei einer Temperatur von bis zu 1.300°C. Im Elektrizitätssektor kann Kraftblock überschüssigen Strom z.B. von Windkraftanlagen als Wärme zwischenspeichern und so Lastspitzen ausgleichen. Gründer und Geschäftsführer Dr. Martin Schichtel stellt den Speicher im Start-up-Interview vor.

In Deutschland wird mit rund 460 TWh mehr als die Hälfte der gesamten Endenergie in der Industrie zur Bereitstellung von Prozesswärme aufgewendet. Ein großer Teil davon geht als Abwärme ungenutzt verloren. Mit Ihrem Kraftblock wollen Sie diese Wärmeenergie nutzbar machen. Was kann der Speicher leisten?

Kraftblock ist ein Hochtemperaturspeichersystem, das designt wurde, um Industrien wie Stahl, Glas, Keramik und die petrochemische Industrie zu dekarbonisieren. Industrielle Prozesswärme kann dadurch 24/7 mit erneuerbaren Energien erzeugt werden. Durch eine Kombination des modularen Speichersystems mit außergewöhnlichen Eigenschaften wie hoher Kapazität, geringer Ladezeit und Zyklenstabilität stellen wir ein wichtiges Glied der Energiewende.

Wie wird der Speicher be- und entladen?

Wir haben den Speicher im sogenannten „open system approach“ entwickelt, das heißt das Kernsystem ist mit unterschiedlichen Wärmeträgern wie heißen Gasen, Thermalöl, Flüssigsalzen und anderen be- und entladbar. Durch getrennte Be- und Entlademodule wird der Übergang von einem Wärmeträger auf einen anderen Wärmeträger kontrolliert und gesteuert.

Ihr Speicher kann die Wärme auch über Wochen hinweg mit nur geringen Verlusten speichern und das bei Temperaturen bis zu 1.300°C. Wie gelingt Ihnen das und welches Speichermaterial nutzen Sie?

Wir haben das Speichermaterial für die Hochtemperaturspeicherung entwickelt. Dabei lag das Ziel, neben Kapazität und Leistung, ebenfalls auf Nachhaltigkeit. So verwenden wir beispielsweise bis zu 85% Recyclingmaterialien, wie Eisenschlacken. Diese sind mit einigen anderen Materialien intelligent verbunden, so dass ein mechanisch und thermisch sehr tolerantes Materialsystem entsteht. Die grundlegenden Eigenschaften sensibler Speichermaterialien, Kapazität und Leitfähigkeit, sind hierbei auf Performance getrimmt. Neben den materialspezifischen Parametern, dem inneren Speicherdesign, spielt natürlich die perfekt abgestimmte Isolierung eine wichtige Rolle für die Wärmeverluste.

Gibt es eine Mindesttemperatur, die industrielle Abwärme haben sollte, damit der Kraftblock wirtschaftlich einsetzbar ist?

Theoretisch ist die Mindesttemperatur Raumtemperatur. Allerdings finden wir bis ca. 400°C gute Alternativen, so dass wir in einem ersten Schritt den Bereich zwischen 350/400°C bis 1.300°C bearbeiten. Über 600°C können wir die Materialparameter besonders gut ausspielen.

Kraftblock ist skalierbar und modular. Welche Speichergrößen bzw. –kapazitäten bieten Sie an?

Unsere Standard-Einheiten sind 10 Fuß und 20 Fuß Container. Einzelne Container können dabei als mobile Speicher genutzt werden. Alternativ lassen sich die Container zu großvolumigen stationären Systemen zusammenschalten. Die Kapazitäten bewegen sich zwischen 3 MWh und 8 MWh für das 10 Fuß System bzw. zwischen 7 MWh und 16 MWh für das 20 Fuß System.

Ihr Speicher kann einerseits industrielle Abwärme speichern. Er kann aber auch genutzt werden, um Strom in Form von Wärme zwischenzuspeichern. Welcher Einsatzbereich ist bedeutender?

Zunächst zielen wir auf „klassische“ Dekarbonisierungsmaßnahmen, unterstützen also Unternehmen darin, einmal erzeugte Energie, die über ihre Kamine in die Atmosphäre geht, nochmals zu nutzen und somit den Bedarf an Primärenergie, aber auch den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Der Übergang zur Nutzung von erneuerbaren Energien, insbesondere in der Variante Power-to-Heat wird immer häufiger angefragt. Durch Nutzung dieser Systematik kann der Kunde einen Großteil seiner Bestandsanlage erhalten und dennoch den Wechsel von konventioneller Versorgung zu „grüner“ oder „erneuerbarer“ Wärme durch den Einsatz unseres Speichersystems vorantreiben.

Welche Aufgaben kann Kraftblock bei der Anwendung im Elektrizitätssektor übernehmen und was sind die Vor- und Nachteile im Vergleich zu den üblichen Batteriespeichern?

Die Standardeinheiten des Kraftblocks sind 10 oder 20 Fuß Container. Sie lassen sich zu großen Systemen zusammenschalten.

Kraftblock, wie auch andere thermische Speicher, werden in verschiedenen Szenarien als sogenannte Kapazitätsspeicher gesehen. Hierbei geht es um die Speicherung von mehreren Hundert Megawattstunden oder gar Gigawattstunden im zweistelligen Bereich. Ein thermischer Speicher ist insbesondere bei diesen Größen unschlagbar günstig. Ein weiterer Vorteil der Konstellation ist, dass Be- und Entladeleistung beliebig sein können. Das heißt, man kann z.B. mit 100 MW einspeichern und mit 30 MW ausspeichern. Beides Punkte, die mit herkömmlichen Batteriespeichern nicht realisierbar sind. Die Schwachstelle in dem thermischen System liegt hauptsächlich in der Rückverstromung, da man auf handelsübliche Dampfturbinen oder Gas- und Dampfturbinen-Systeme (GuD) angewiesen ist, die relativ teuer sind und einen recht niedrigen Wirkungsgrad haben. Allerdings wird es dann wirtschaftlich, wenn auch die Wärme in ein Wärmenetz ausgekoppelt werden kann. Dies wird besonders spannend, wenn Bestandskraftwerke zu sogenannten Speicherkraftwerken umgerüstet werden.

Ich denke, im niedrigen Kapazitätsbereich, sagen wir bis 20 oder 30 MWh werden Lithiumsysteme die Nase vorn haben. Im hohen Kapazitätsbereich, insbesondere bei flexibler Ein- und Ausspeicherung, werden thermische Systeme dann im Rennen sein, wenn effiziente Verstromungsaggregate auf den Markt kommen oder der Umbau zu Speicherkraftwerken vorangetrieben wird.

Kraftblock gibt es auch als mobile Variante. Wofür lässt sich diese nutzen?

Die „typischen“ Anwendungsfelder lokalisieren wird derzeit. Die einfachste Variante ist, eine Hochtemperaturquelle (>500°C) zu erschließen und mit dem mobilen System eine Art 2-Punkt-Fernwärmenetz aufzubauen, also Kunden mit CO2-freier Wärme zur Erzeugung von Heiz- und Brauchwasser zu versorgen, die nicht an ein klassisches leitungsgebundenes Netz angeschlossen werden können. Diese Option schauen wir uns zurzeit mit unserem Partner Steag New Energies sehr intensiv an. Wärmeverschiebungen zu anderen Firmen oder sogar standortintern sind ebenso möglich.

Wie weit sind Sie mit der Entwicklung? Gibt es schon laufende Projekte?

Version 1.0 unseres Systems ist anwendungsfertig und getestet. An den Schnittstellen zur Be- und Entladestelle sind je nach Projekt Anpassungen vorzunehmen. In den Industrien, die schnellstmöglich dekarbonisiert werden sollen, haben wir Projekte in Umsetzung. Vor kurzem wurde unser weltweit erster mobiler Hochtemperaturspeicher ausgeliefert, der derzeit beim Kunden im Testbetrieb läuft.

In einem Artikel im Handelsblatt stand, dass sich gerade in Deutschland im Wärmesektor hinsichtlich der Energiewende nicht viel tue, im europäischen Ausland und vor allem in Asien hingegen schon. Woran liegt das und welche Märkte sind für Sie interessant?

Es sind einige Märkte sehr spannend. Gerne würden wir „starting local, going global“ umsetzen, aber die Wärmewende in der Industrie ist in Deutschland weder in den Köpfen noch in der Politik angekommen. Gleiches gilt für Speichertechnologien, wenn ich mir den aktuellen EEG-Entwurf anschaue. Aber ohne Speicher wird die komplette Energiewende nicht machbar sein.

In Deutschland wird derzeit Wasserstoff extrem gehypt, eine wunderbare Technologie, aber bis diese beispielsweise in Stahlwerken flächendeckend umgesetzt wird, wird viel Zeit und noch viel mehr Fördergeld vom Steuerzahler benötigt. Speichersysteme wie unseres könnten aber bereits heute zur Dekarbonisierung beitragen und den Übergang zu komplett anderen Fertigungstechnologien ermöglichen. Selbst in unseren Nachbarländern wie Belgien, Niederlande, Österreich und Schweiz ist man in der Denke weiter und setzt alle Hebel in Bewegung sich gegen den Klimawandel zu stellen. Wenn unsere Speicher dort gebraucht werden, werden Sie uns auch dort finden. Gleiches gilt für Asien, wo die Uhren noch schneller ticken und man nicht versucht, solange an Technologien des letzten Jahrhunderts festzuhalten bis die Technologien des neuen Jahrtausends entwickelt sind.

Das Interview führte Simone Pabst

Weitere Informationen: Kraftblock

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